Ecco Le Marche

Mein Tipp für Anfang September: die Festa dell’Aquilone, das Drachenfest von Urbino. Dieses Fest für Jung und Alt gibt es schon seit 1955 und das bedeutet, dieses Jahr feiern sie die 70. Edition! Es gehört fest zur kulturellen Identität der Stadt. Dabei wirkt es wie ein modernes Festival mit viel studentischer Atmosphäre, grooviger Musik, Sonne und viel guter Laune.

Lange Tradition in Urbino.

Aber die Tradition des Drachensteigenlassens in Urbino gibt es scheinbar schon viel, viel länger: Im Jahre 1897 schrieb der Lyriker Giovanni Pascoli sein Gedicht „L’Aquilone“ (Der Windvogel). Darin erinnert er sich an seine Jugend, in der er in Urbino im Kapuzinerkloster zur Schule ging.

“ […] Or siam fermi; abbiamo in faccia Urbino ventoso: ognuno manda da una balza una cometa per il ciel turchino. […]” (Zitat Giovanni Pascoli, 1897, aus dem Gedicht „L’Aquilone“)

“ […] Nun stehen wir still; vor uns liegt das windige Urbino: Jeder schickt von einer Klippe aus einen Kometen in den blauen Himmel. […]“ (Übersetzung durch deepl.com)

Festa dell’Aquilone im Jahr 2024.

Obwohl ich großer Urbino-Fan bin, hatte ich erst im letzten September die Gelegenheit, das mehrtägige Festival live zu erleben. Dazu hatte ich mir den Sonntag ausgesucht.

Die beiden Finale-Tage, Samstag und Sonntag, finden seit 1991 nicht mehr in Urbino selbst statt, sondern im Parco dell’Aquilone Cesane, einer sehr windigen Hochebene wenige Kilometer außerhalb von Urbino. Hier gibt es scheinbar optimale Windverhältnisse fürs Drachenfliegen. Auf den umliegenden Wiesen gab es reichlich Parkraum, und beim Näherkommen konnte ich die ersten Drachen erspähen. Im Eingangsbereich gab es einige Verkaufsstände für Drachen – wir nannten sie früher Windvögel.

Es war herrliches Wetter und die Sonne knallte ordentlich. Das war aber nicht weiter schlimm, denn der Wind machte es sehr angenehm.

Die Wettbewerbe sollten an diesem Tag eigentlich um 14 Uhr anfangen, aber als ich gegen 15 Uhr eintraf, schienen sie gerade begonnen zu haben.

Insgesamt traten 10 Contraden (Stadtviertel) gegeneinander an. Jede Contrade hatte eine eigene Farbe, die sich an den Zelten, an T-Shirts, an kleinen Schleifen an den Fahrzeugen und natürlich an den Drachen selber zeigte. Die Namen der Contraden bezeichneten meist Stadtviertel von Urbino, wie „Duomo“, „Mazzaferro“ oder „San Bernardino“, aber eine nannte sich auch geheimnisvoll „Hong Kong“. Ich konnte nicht herausfinden, warum sie diesen Namen gewählt hatten.

Die aktiven Drachenflieger waren überwiegend Kinder, Jugendliche und junge Leute. Aber alle halfen an den Ständen mit: Es galt, die Teams mit Essen und Trinken zu versorgen – schließlich sind wir in Italien! Und die Drachen benötigten den letzten Schliff, bei dem die erfahrenen älteren Leute Hand anlegten und zeigten, wie es geht.

Die finalen Wettbewerbe.

Die Wettbewerbe an diesem letzten Tag waren sehr verschieden:

Der am höchsten steigende Drache.

Zunächst galt es wohl, von jeder Contrade jeweils einen Drachen so hoch wie möglich steigen zu lassen. Gespannt und von den Veranstaltern über Mikrofon kommentiert, fieberten alle den verschiedenen Drachen hinterher. Das Zebra schaffte es relativ weit nach oben, aber auch der regenbogenfarbene „Peace“-Drachen flog hoch hinaus.

Der am weitesten fliegende Drache.

In der zweiten Runde machten alle mit: Es wurde derjenige Drache prämiert, der am weitesten geflogen war. Dazu wurden nur ganz einfache, trapezförmige Drachen benutzt, die nur aus natürlichen Bestandteilen zusammengesetzt waren. Auch die Leine musste biologisch abbaubar sein. Der Start zögerte sich etwas hinaus, da immer wieder Teilnehmer mit ihren Windvögeln losliefen, bevor der Startschuss gefallen war. Als es schließlich losging, bot sich ein tolles Bild hunderter bunter Drachen, die sich in den Himmel erhoben und nach und nach vom Wind von der Hochebene Richtung Urbino geweht wurden.

Und – oh weh! Welch ein Chaos: Leinen verhedderten sich und legten sich um Autos, Funkmasten und sogar um die Toilettenhäuschen, deren Türen teils nicht mehr aufgingen. Die Zuschauer mussten allerorts über Leinen steigen. Einige Drachen hatten schon aufgegeben und lagen am Boden. Jetzt wusste ich auch, warum alles biologisch abbaubar sein musste, denn Schnüre und Drachen landeten überall in der weiteren Umgebung des Festivalgeländes. Noch beim Wegfahren musste ich über Drachenschnüre fahren, die quer über die Straße reichten. Es gewann die Contrade, deren Drachen am weitesten gekommen war. Was für ein Spektakel!

Der beste dreidimensionale Drache.

Beim letzten Wettbewerb wurden beeindruckend große, dreidimensionale Drachen in abenteuerlichen Formen zum Fliegen gebracht. Es nahmen eine Kopie des italienischen Rennsegelbootes Luna Rossa, ein überlebensgroßer Pfau, eine Matroschka-Figur, eine Dschunke (natürlich von der Contrade Hong Kong), eine Möwe und andere Konstrukte teil. Diese Drachen waren so groß, dass sie von einem ganzen Team von Leuten einen leichten Hang hinuntergeschleppt wurden, damit sie schließlich aufstiegen. Jede Contrade hatte drei Versuche, aber nicht alle schafften es, in die Luft zu gehen. Einige fielen schon nach wenigen Metern wieder krachend zu Boden. Die Kriterien für den Gewinner waren eine Kombination aus Flugeigenschaften, Form, Originalität und anderem.

Im kleinen Filmchen hier unten habe ich meine Eindrücke der drei Wettbewerbe zusammengefasst:

Das Fest ging langsam zu Ende. Zu Ende? Nein! Denn als ich am Abend ins Zentrum von Urbino fuhr, ging dort die Party erst richtig los: Mit lautem Getöse zogen die Gewinner durch die Stadt. Dieses Jahr war es die Contrade „Hong Kong“, die den Hauptpreis, den Preis der Stadt Urbino, nach Hause brachte.

Verschiedene Prämien.

Neben den großen Prämien wurden übrigens auch viele kleinere Preise vergeben, zum Beispiel

  • für den besten jungen Drachenflieger
  • für die beste weibliche Drachenfliegerin
  • für die/den insgesamt beste:n Drachenflieger:in
  • für den größten Drachen
  • für den kleinsten Drachen
  • für den schönsten Drachen
  • für den technisch besten Drachen
  • und viele andere

Danach setzten sich die Mitglieder aller Contraden auf der Piazza del Rinascimento vor dem Herzogpalast an lange Tische zum traditionellen gemeinsamen Abendessen.

Ein schöner Abschluss eines tollen Festes!

Informationen

Die Festa dell’Aquilone findet jedes Jahr am ersten Sonntag im September und an den Tagen davor statt.

Die beiden letzten Tage des Festes werden auf der Hochebene Cesane vor den Toren Urbinos veranstaltet.

Das Ganze hat volksfestartige Atmosphäre und es gibt ein paar Stände mit Getränken und Kleinigkeiten zu essen. Ganze Familien kommen zum Zuschauen, aber auch die Zahl der Teilnehmer ist enorm.

Hier das Plakat der diesjährigen Veranstaltung:


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