Eine wunderbare Ausstellung von Anne-Mie Devolder und Roy Bijhouwer. Die beiden, engagiert in Architektur und in Kunst, besitzen eine Casa in den Marken und haben der Landschaft und dem Landleben ihrer Herzensregion die Ausstellung Movimento e Cambiamento gewidmet. Ich hatte das Vergnügen, diese bereits 2x zu sehen, einmal in Apiro und einmal in Cupramontana.
Canna – Schilfrohr
Anne-Mie arbeitet seit Jahren an ihren Studien zur Canna (Arundo donax), auf Deutsch Schilfrohr oder auch Pfahlrohr genannt. Mir gefiel, dass die Canna als Objekt von Anne-Mies großflächigen Gemälden zugleich einfach als auch komplex wirkt. Auf den Bildern sahen sie ungemein plastisch aus, so als würden sie sich gerade im Wind wiegen.
Alberto Cimarello, der in und um Cupramontana aufgewachsen ist, hielt die Einführungsrede. Er stellte die eher rhetorische Frage, warum sie denn ausgerechnet die Canna für ihre Bilder ausgewählt habe und nicht andere, vielleicht imposantere Pflanzen der Gegend, wie die Steineiche oder den Maulbeerbaum. Aber er wusste die Antwort selber, denn die Canna sieht man überall in der Gegend und sie wird vielfältig verwendet: im Garten zum Stützen von Tomaten oder als Zaun, als Verkleidung und Verzierung auf den Festen, und überall sonst, wo das kräftige Rohr benötigt wird. Wie zum Beweis überreichte er ihr Spielzeuge, welche er aus Canna gefertigt hatte und die er noch aus seiner eigenen Kindheit kannte: ein kleines Gewehr, das beim Drücken des Abzuges sogar „plop“ machte und eine Ratsche, mit der die Kinder früher zu Ostern Lärm machten.
Die Räumlichkeiten
Alleine die Räumlichkeiten der Ausstellungen waren gut gewählt: in Apiro in Räumen des Teatro G. Mestica, einem der vielen schönen Theater der Marken und in Cupramontana im MIG (Musei in Grotta), im alten Caterina-kloster.
Die 4 Jahreszeiten der Familie Mariotti – der Film
Der Zuschauerraum im MIG war voll und als Nächstes wurde der Film „Le quattro stagioni della famiglia Mariotti“ von Roy Bijhouwer vorgeführt. Die Stars des Films, die Nachbarsfamilie Mariotti, saßen in der ersten Reihe mit dabei. Die Familie betreibt ihre kleine Landwirtschaft zur Selbstversorgung noch wie im 19. und 20. Jahrhundert: Sähmaschine und Traktor sind alt, Brot wird noch von Hand gebacken und das Einsalzen des Schinkens wird noch fast liebevoll von der Nonna vorgenommen, wie um dem kostbaren Lebensmittel Respekt zu erweisen. Roys Kamera fängt alles sanft und sehr zugewandt ein, sodass dem Film eine große Ruhe innewohnt. Auf effektheischende Szenen, wie dem Schlachten des Schweines, verzichtet er dabei bewusst. Anne-Mie erzählte mir, dass viele Leute aus der Gegend zur Ausstellung gekommen sind und beim Film Tränen der Rührung in den Augen hatten: So kannten viele es noch aus ihrer Jugend!
Ich kann den Film nur unbedingt empfehlen. Zum Glück hat Roy ihn – mit Einwilligung der Familie Mariotti – auf Youtube hochgeladen. Ein echtes Zeitdokument!
Die Vergara
Nach dem Film war noch genügend Zeit, um Anne-Mies Bilder in Ruhe auf sich wirken zu lassen, mit den Besuchern und den Protagonisten zu sprechen und – wir sind in den Marken! – ein kleines Häppchen zu essen oder einen schönen lokalen Sekt zu genießen.
Ein Bekannter erklärte mir dabei mit respektvollem Verweis auf die alte Frau Mariotti: Sie sei noch eine rechte Vergara. Die Vergara waren im marchigianischen Dialekt die Frauen in der Landwirtschaft, die im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts der Familie vorstanden und die Geschäfte lenkten. (Notiz an mich selber: wir müssen unbedingt mal einen Artikel über die Rolle der Vergara in den Marken schreiben!)
Praktische Tipps
Solltet Ihr die Gelegenheit finden, einmal Anne-Mie und Roys Ausstellung zu sehen, kann ich sie uneingeschränkt empfehlen.
Wenn nicht, findet Ihr eine Übersicht über Anne-Mies Werke auf ihrer Webseite. Den Film von Roy auf Youtube.
Wer zurzeit in den Marken ist und sich dafür interessiert, wie früher in der Dorfgemeinschaft Schweine zu Wurst und Schinken verarbeitet wurden, der kann sich dies zum Beispiel nächstes Wochenende am 21. Januar bei der „Pista di Maiale“ in Cupramontana ansehen (und probieren!).
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