Die pittoreske, mittelalterliche Stadt Corinaldo darf in keinem Reiseführer über die Marken fehlen. Zu recht, zählt sie doch schon seit längerem zu den schönsten Borghi (Dörfern) Italiens; ja 2007 wurde sie sogar zu DEM schönsten Borgo Italiens erwählt.
Mein Mann war hier 2008, um nach einem geeigneten Haus für uns zu suchen und übernachtete im Hotel Ristorante I Tigli, das sich mitten in der alten Stadtmauer befindet. Stadt und Hotel gefielen ihm schon damals recht gut!
Dieses Jahr waren wir im Rahmen der Festa dei Folli (Fest der Verrückten), einem mehrtägigen Gauklerfest, dort und konnten ein paar schöne Fotos des Ortes machen.
Geschichte Corinaldos
Das knapp unter 5000 Einwohner zählende Städtchen Corinaldo im Norden der Provinz Ancona wurde der Legende nach zwar schon im Jahre 411 besiedelt, als die Menschen aus dem römischen Suasa vor dem barbarischen Warlord Alarich in die umliegenden Berge flohen, aber eine nennenswerte Siedlung gab es wohl erst Anfang des 2. Jahrtausends, sagen Historiker.
Lange Zeit war Corinaldo eine freie Kommune, die sich, eingezwängt zwischen dem Herzogtum Urbino und der Mark Ancona behaupten musste, besonders während der in Italien herrschenden Kämpfe zwischen kaisertreuen Waiblingern (Ghibellini) und kirchentreuen Welfen (Guelfi) . 1248 gehörte Corinaldo sogar zu den Castelli von Jesi, 1360 wurde es von Papst Innozenz VI völlig dem Erdboden gleichgemacht und 1367 von Papst Urban V. mit den heute noch existierenden, beeindruckenden Stadtmauern wieder aufgebaut. So entstand wohl auch der Wappenspruch von Corinaldo: Cineribus orta combusta revixi, was in etwa Aus der Asche auferstanden bin ich ins Leben zurückgekehrt bedeutet.
Verschiedene lokale Herrscherfamilien regierten in Corinaldo, von den Malatestas bis zu den Sforzas. Als die Bürger von Corinaldo den Angriff des Urbiners Francesco della Rovere 1517 nach 23-tägiger Belagerung abwehrten, verlieh Papst Leo X. dem Ort zum Dank für die Treue der Kirche gegenüber sogar die Stadtrechte.
Ab dem 17. Jahrhundert blühte Corinaldo auf: Mittlerweile Teil des Kirchenstaates, der sich in Mittelitalien breit machte, musste es seine Gemeinde-Grenzen nicht mehr verteidigen und die stetig anwachsende Bevölkerung sorgte für Handel, Kultur, repräsentative Gebäude und Kirchen.
Wir starten unseren Rundgang durch Corinaldo
Also los geht’s mit unserer Besichtigung: Wir parken außerhalb der Stadtmauer und genehmigen uns zunächst eine kleine Erfrischung mit Aussicht am beliebten Chiosco (Kiosk), direkt außerhalb der Porta S. Giovanni.
Gegenüber liegt die San Francesco Kirche, in ihrer heutigen Struktur aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, aber auf Überresten einer Kirche des 13. Jahrhunderts gebaut. Im Inneren mit Bildern des Malers Claudio Ridolfi, der seinen Lebensabend in Corinaldo verbrachte und dem ein Museum im Zentrum gewidmet ist.
Dann beginnen wir den Rundgang entlang der etwa 1 Kilometer langen, gut erhaltenen Stadtmauer. Hier finden sich mächtige Tore und Türme, wie der Torre dello Scorticatore, die Porta Santa Maria Mercato oder die Porta Nova. Weil die Stadt einerseits ab dem 17. Jahrhundert sicherer geworden war und nicht mehr so bewacht werden musste und sich anderseits die Bevölkerung wegen des Aufblühens der Stadt drastisch vergrößerte, wurden die in die Mauer eingelassenen Wachstübchen und Türme kurzerhand umgenutzt: In einem 1-Zimmer-Stübchen mit Kamin und Latrine wohnte sogar noch bis in die 1960er Jahre eine gewisse Liseppetta, so sagt das Schild an der Mauer. In einen anderen, ehemaligen Gefängnisturm zog eine Keramikwerkstatt ein.
Auf Höhe der Porta Santa Maria Mercato kommt uns ein festlicher Spielmannszug auf der vermutlich meist-fotografiertesten Treppe der Marken entgegen, auf der Scallinata del Pozzo della Polenta, oder auch Piaggia genannt. Dazu später mehr …
Wir gehen noch ein Stück weiter die Stadtmauer entlang, vorbei am Hotel I Tigli und bestaunen auf der Piazza del Cassero die 43 Meter hohe Libanon-Zeder (oder Himalaya-Zeder), die vermutlich seit einigen 100 Jahren hier steht. An diesem Platz befand sich früher die San Pietro Kirche, von der heute nur noch der Turm übrig ist.
Wir schlüpfen kurz in einige der Kirchen im Zentrum: Die neo-klassizistische Suffragio-Kirche aus dem 17. Jahrhundert, nach Plänen des anconetanischen Architekten Francesco Maria Ciaraffoni auf den Überresten eines Wehrturmes errichtet und die barocke Madonna dell’Addolorato Kirche, die von außen erst einmal ganz unscheinbar wirkt. Darinnen einige Heiligenfiguren, von der Madonna Dolorosa (der schmerzensreichen Madonna) über die bekannte italienische Heilige Santa Lucia (immer mit Augen in einer Schale dargestellt) bis hin zu der Heiligen, deren Spuren im ganzen Ort Corinaldo unübersehbar sind: Der heiligen Maria Goretti, die in Corinaldo geboren wurde und noch nicht einmal 12-jährig, bei Rom einen gewaltsamen Tod erlitt:
Das Martyrium der Heiligen Maria Goretti
Maria, auch zärtlich Marietta genannt, war die älteste Tochter einer verwitweten, armen Pachtbäuerin. Alessandro, der 16-jährige Sohn des Verpächters stellte dem gerade einmal 11-jährigen Mädchen häufig nach und versuchte sie eines Tages im Jahr 1902 zu vergewaltigen und verletzte sie, die sich erfolgreich wehrte, mit 14 Stichen einer Ahle so schwer, dass sie am Tag danach an ihren Verletzungen starb.
1947 wurde sie von Papst Pius XII selig und 1950 auf dem Petersplatz vor einer halben Million Gläubiger heilig gesprochen. Die Begründung der Heiligsprechung verrät viel über das kirchliche Frauenbild der frühen 50er-Jahre: Die Frau (das Mädchen!) ist ein liebenswürdiges Opfer und vergibt dem Vergewaltiger die Aggression gegen sie. Den Peiniger wehrt ab, damit dieser keine Sünde begeht und in die Hölle kommt. Dieser sitzt 20 Jahre Strafe ab, bereut und arbeitet fortan als Gärtner in einem Franziskanerkloster.
Versöhnt hat mich, dass sie die Geschichte Maria Gorettis in Corinaldo nun auch anders darstellen – so sehe ich es auf einem Plakat in einer der Kirchen: Nun wird der Aspekt positiv herausgehoben, dass sich Marietta gewehrt hat und damit ein Vorbild für andere Frauen und Mädchen sein soll, selbstbewusst zu sein und sich nicht alles gefallen zu lassen.
An vielen Stellen des Ortes sehen wir Schautafeln und Gedenktafeln zu Maria Goretti; ihr ist sogar ein Sanktuarium gewidmet, in dem sowohl Marias Mutter und – als Zeichen der Versöhnung – auch der Täter Alessandro beigesetzt sind.
Museen und Theater in Corinaldo
Weiter geht es zu den weltlichen Gebäuden in der Via del Corso, wie dem ehemaligen Augustinerkloster, in dem heute das Museum Claudio Ridolfi untergebracht ist: mit Werken des Künstlers, mit einer Sammlung sizilianischer Reliquienbehälter und mit Ausgrabungen von Fundstücken aus der Picenerzeit. Leider war das Museum bereits geschlossen, ebenso wie das Museum der Trachten und Volkstraditionen. Auch das Teatro Goldoni und den Palazzo der Gemeinde schauen wir uns nur von außen an:
Der Pozzo della Polenta (Der Polenta-Brunnen)
Inzwischen ist es früher Abend geworden. Über die Piaggia, die 100-stufige Treppe mit dem Pozzo della Polenta genannten Brunnen gehen wir Richtung Festzelt. Der Namen des ursprünglich aus dem 15. Jahrhundert stammenden Brunnens beruht auf dieser kuriosen Geschichte:
Vor langer Zeit schleppte ein alter Mann einen schweren Sack Maismehl die lange Treppe hoch. In der Mitte der Treppe, beim Brunnen, machte er eine kleine Verschnaufpause, wobei ihm der Mehlsack in den Brunnen fiel. Für die weitere Geschichte gibt es verschiedene Versionen, aber sie enden alle damit, dass der Ort mithilfe des aus dem Brunnen geretteten, aber feuchten Maismehls ein großes Polentafest feierte. Seit den 80er Jahren gibt es daher im Juni oder Juli ein großes Stadtfest, Contesa del Pozzo della Polenta genannt, bei dem gleichzeitig die historische Abwehr des Angriffs Francesco della Roveres im Jahre 1517 nachgestellt wird
Der Pozzo della Polenta hat uns hungrig gemacht und so begeben wir uns zum Abschluss des Tages in das Festzelt außerhalb der Stadtmauer, um uns mit Pasta und gutem Verdicchio-Wein der Gegend zu stärken. Die Stimmung ist gut und keiner beschwert sich über die lange Schlange an der Kasse, solange das Essen gut ist und der Wein fließt.
Inzwischen ist es dunkel geworden und wir fahren nach Hause, nicht ohne nochmal einen Blick auf einige der schönen beleuchteten Türme der Stadtmauer zu werfen …
Sommerprogramm in Corinaldo
Corinaldo ist eigentlich immer einen Besuch wert und so einige Feste und Veranstaltungen ziehen übers Jahr die Gäste an. Hier – frisch aus der Touristeninformation – das Sommerprogramm bis hin zum inzwischen berüchtigten Halloweenfest Ende Oktober:
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