Ich bin manchmal etwas zartbesaitet. So gucke ich alleine keine Krimis, und wenn ich mir welche mit meinem Mann Otto zusammen ansehe, dann schaue ich bei den gewalttätigen und gruseligen Szenen weg. Horrorfilme mag ich gar nicht. Und dennoch fühlte ich mich in der Krypta, dem Friedhof der Mumien in Urbania, nicht unwohl. Vielleicht lag es daran, dass die Toten hier von einem ganz alten Friedhof stammten, wo sie friedlich bestattet waren.
Es ist dennoch ein bisschen makaber und nicht alle Toten sind friedfertig gestorben, wie wir gleich erfahren werden, denn ich war mit Otto dieses Jahr dort.
Weil wir uns in der Coronapandemie befanden, rief ich vorher kurz an, um die Öffnungszeiten zu erfragen. Der nette Herr am Telefon, unser späterer Führer durch die Krypta, erklärte mir die Öffnungszeiten und als er hörte, dass ich Deutsche war, instruierte er mich, zwar ein paar Minuten früher da zu sein, jedoch auch nicht zu früh. Ich könnte schwören, er hat es mit einem Augenzwinkern gesagt, denn wie viele Deutsche neige ich dazu, bei solchen Terminen viel zu früh aufzutauchen.
Aber dieses Mal waren wir eher spät dran. Wir fanden einen Parkplatz irgendwo ausserhalb der Stadtmauer und konnten auf dem Weg zur Chiesa dei Morti noch ein Stück durch das gemütliche Städtchen gehen, in dem der Architekt des Petersdomes, Donato Bramante, im 15. Jahrhundert geboren wurde. Wer Anfang Januar kommt, hat vielleicht zusätzlich die Gelegenheit, das schöne Befana-Fest in Urbania zu besuchen, über das wir schon berichtet haben.
Nun also stehen wir vor der Cola-Kapelle, die wohl 1380 im Auftrage Cola di Ceccos erbaut wurde.
Mit der Verwaltung von Friedhof und Kapelle wurde ab 1816 die Bruderschaft des guten Todes (Confraternita della Buona Morte) beauftragt. Diese Bruderschaft existierte schon seit dem 5. oder 6. Jahrhundert im Orient und gründete im Jahr 1567 eine Niederlassung in Urbania (das damals noch Casteldurante hieß), zu der auch Kardinal Giulio Feltro della Rovere gehörte. Die Brüder hatten sich, wie der Name sagt, einem guten Tod verschrieben: Sie kümmerten sich aufopfernd um Todkranke, leisteten Sterbebegleitung, erstellten Sterberegister und bemühten sich, für die Toten eine würdige Grabstätte zu finden.
Als Folge des 1804 von der napoleonischen Regierung erlassenen Saint-Cloud – Ediktes, das vorsah, Friedhöfe aus hygienischen Gründen fürderhin außerhalb der Stadtmauern zu errichten, wurde der innerstädtische Friedhof aufgelöst. Dabei fanden die Brüder 18 mumifizierte, weitgehend unversehrte Leichen, die sie seit 1833 in der Krypta der Cola-Kirche verwahrten und die noch heute dort besichtigt werden können.
Heutzutage hat man trennendes Glas in die Holzvitrinen eingelassen, um die Mumien vor allzu aufdringlichen Besuchern zu schützen.
Erst im letzten Jahrhundert wurde die Erklärung gefunden, warum diese Leichen mumifiziert und derart gut erhalten waren: So war im Boden des alten Friedhofes wohl ein bestimmter Pilz, der dafür sorgte, dass die Leichen austrockneten, anstatt zu verwesen. Skelett, Haut, Organe und sogar Haare und Genitalien sind erhalten geblieben.
Unser Führer erklärt uns äusserst spannend und lebhaft die Hintergründe zu jeder einzelnen Mumie, so wie sie im Laufe der Zeit von Forensikern, Historikern und Wissenschaftlern herausgefunden wurden:
Hier einige Beispiele:
Kind und Mutter des Abtes
In der Mitte oben sehen wir den Abt der Bruderschaft, Vincenzo Piccini, in seinem typischen Ornat (weißes Gewand mit schwarzem Umhang), darunter seine Frau und sein Kind. Diese drei sind zwar mumifiziert, aber anders als die anderen: Der Abt lebte ja noch, als der alte Friedhof (der mit den Pilzen) aufgelöst wurde. Aber um im Tod ähnlich gut erhalten zu sein, hatte er sich zu Lebzeiten Chemikalien zusammengemischt, mit denen er und seine Familie nach dem Tod einbalsamiert wurden.
Oben in der Mitte sieht man wohl einen Bäcker, sagt der Führer, denn sein Bauch ist besonders groß. Links von ihm ein Junge mit Trisomie-21, rechts davon einer mit einem Buckel.
Dieser Mann wurde lebendig begraben und erstickte elend – vermutlich weil man ihn für tot hielt. Der National Geographic veranlasste 2002 eine Untersuchung, bei der man ein kleines Loch bis in die Lunge hinein bohrte und dort Erde fand und damit die Todesursache bestätigen konnte.
Die Person oben links wurde erhängt und ist noch in der Stellung, wie sie aufgehängt wurde, der Mann rechts neben ihm wurde erstochen, denn man sieht noch die Öffnung, durch die das Stilett eingedrungen ist. Unser Führer erzählt etwas von einer Tötung nach einem Dorffest, aber ich bin nicht sicher, ob er das einfach erzählt, um ein wenig auszuschmücken. Jedenfalls hat er von einer der forensischen Untersuchungen einen Glasträger mit einem Querschnitt des Herzens, den er vors Licht hält und auf dem man das Loch sehen kann, das der tödliche Dolchstoß ins Herz gebohrt hat.
Andere wurden, so bekommen wir erzählt, vom Karren überfahren, hatten Osteoporose, Diabetes, zu viel rotes Fleisch gegessen oder waren verhungert, wie ihre rachitische Erscheinung nahelegt. Wir bekommen zu jeder der 18 Mumien eine Erläuterung und eine ist spannender als die andere.
Über den Mumien und umringt von Totenschädeln einige Zitate der Bibel, so aus dem Buch Hiob: am letzten Tag werde ich von der Erde auferstehen oder Du legst mich in des Todes Staub.
Alles in allem eine sehr kurzweilige und sehr interessante Führung. Sie war zwar nicht gruselig, aber trotzdem sind wir froh, nach dem Aufenthalt in der engen Krypta an der frischen Luft zu sein und genießen auf dem schönen Platz vor dem Bramante-Theater erstmal ein Bier.
Nützliche Informationen:
Die chiesa dei morti ist von Dienstags bis Sonntags jeweils 1 Stunde morgens und eine nachmittags geöffnet. Der Eintritt inklusive Führung kostet 3 Euro pro Person.
Hier findet man die Öffnungszeiten und die Telefonnummer, falls man eine Führung reservieren möchte.
Dies geht, glaube ich, auch über die Touristeninformation in Urbania, die zusätzlich eine email-Adresse für Anfragen hat.
Unsere Führung war auf Italienisch, weil wir an einem Wochentag ohne Reservierung hingegangen sind. Ich habe gelesen, dass man mit telefonischer Reservierung auch eine Führung auf Englisch bekommen kann. Telefonnummer: 3498195469 (Giovanni) oder über die Touristeninformation.
1 Kommentar
Ursel · 29 Oktober 2021 um 12:07
Sehr interessante, aber auch gruselige Stätte. Einladender dagegen ist der superschöne Platz zum Verweilen und Bier trinken. Wenn dein Tag weiterhin so ausgefüllt ist und du wenig Schlaf hast, können wir dich auch in der Cola-Kapelle abliefern.