Ein Muss für alle, die im Dezember oder Januar in den Marken weilen, ist es, mindestens eine Weihnachtskrippe zu besichtigen. Es gibt davon unglaublich viele, sowohl an öffentlichen Orten als auch privat, einige beweglich, andere riesig groß, wieder andere aus ungewöhnlichen Werkstoffen (zum Beispiel aus Nudeln oder aus Eisenschrott) und natürlich auch die beeindruckenden Krippenspiele (Presepe Vivente), bei denen der halbe Ort mitspielt. Kein Wunder, dass die Italiener so Krippen-verrückt sind: Schließlich wurden sie seinerzeit von keinem Geringerem als dem Heiligen Franz von Assisi erfunden!
Wir haben über die Jahre schon von einigen berichtet: Blogger-Freundin Laura besuchte letztes Jahr ein wahres mechanisches Kunstwerk in Porto San Giorgio, während sie in der Nähe von Arcevia besonders originelle Weihnachtsszenen darstellen und in Jesi eine riesige Krippenlandschaft zu besichtigen war.
Mit-Bloggerin Isabelle und ihr Mann Erik hatten sich für dieses Jahr die Krippe im Oratorio del Gonfalone in Fabriano vorgenommen, denn sie waren ohnehin neugierig auf das Oratorium selber. Ein Oratorium ist ein Gebetsraum, von den Kirchenoberen als öffentlicher Raum zugelassen, aber keine eigentliche Kirche.
Das Oratorio del Gonfalone befindet sich im Zentrum von Fabriano, nicht weit vom Papiermuseum entfernt und es scheint auch für Rollie-Fahrer und andere Gehbeeinträchtigte gut zugänglich zu sein. Hier die Google Koordinaten.
Während das Äußere eher schlicht aussah, überraschte schon beim Eintreten die reich verzierte Decke. Ein freundlicher Freiwilliger erklärte sofort alle Einzelheiten des schönen Gebäudes aus dem Jahre 1636. Der Bau wurde von der Gonfalone-Bruderschaft in Auftrag gegeben. Solche Bruderschaften waren Zusammenschlüsse frommer Laien, oft sogar sehr wohlhabender Personen, die sich dem Glauben und der Barmherzigkeit widmeten. Ein Oratorium bot ihnen einen Ort, an dem sie zusammenkommen konnten. Solche Oratori, so erzählte es unser Führer, gab es nur von Genua bis Sizilien, während es in Norditalien keine Bruderschaften gab.
Der französische Tischler Leonard Chailleau oder Leonardo Scaglia, wie er in Italien genannt wurde, wurde mit der Ausschmückung der Decke beauftragt. Er hatte übrigens auch schon die atemberaubende Barockkirche Santa Lucia in Serra San Quirico gestaltet. So saßen die Mitglieder der Bruderschaft ab dem Jahr 1643 unter einer prächtigen Decke und zwischen reich verzierten Säulen. Es muss eine ziemliche Arbeit gewesen sein, 15 Decken-Segmente mit Darstellungen aus der Geschichte der Himmelfahrt Mariens zu gestalten!
10 Jahre später entstand hinter dem Altar ein Gemälde mit dem Hauptthema der Mariä Himmelfahrt, gemalt von einem der besten Schüler des Malers Barocci: Antonio Viviani (beide aus Urbino).
An den Wänden hingen jeweils von lokalen Künstlern angefertigte Bilder, die von jeweils einem Mitglied der Bruderschaft gestiftet worden waren und zum Zeichen das Familienwappen des Sponsors aufwiesen.
Danach gingen Isabelle und Erik am hölzernen Chorgestühl vorbei, wo mehrere Krippen ausgestellt waren. Isabelle gefielen die 2 Feldbetten am besten, weil sie symbolisch für die Papierstadt Fabriano standen: gefertigt aus handgeschöpftem Papier von Sandro Tiberi, einem Papiermeister.
Und dann noch die von Anita Venturelli aus alten Büchern geschaffenen Kunstwerke! Jede Seite wurde mit einer Bemalung oder einer Einkerbung versehen, so dass die Buchseiten insgesamt ein eigenes Kunstwerk darstellten. Unglaublich schön!!!
Aber auch die anderen waren sehenswert, denn sie waren mit viel Liebe und Zeit erstellt worden:
In der Mitte des Oratoriums empfing sie schließlich noch eine Madonna aus Pappmaché, umgeben von einem blauen Himmel, der von den Infioratori von Fabriano geschaffen worden war. Diese Gruppe der Infioratori sorgt unter anderem für die Blumenteppiche, die im Ort jedes Jahr zu Corpus Domini gelegt werden.
Der Besuch des Oratoriums lohnt sich wirklich, auch ausserhalb der Weihnachtszeit.
Doch Isabelles Besuch erfuhr noch eine überraschende Wendung: Da sie offensichtlich so interessiert war, bot ein anderer Freiwilliger an, ihr noch weitere versteckte Schätze in Fabriano zu zeigen, wie die Krypta von San Romualdo und ein anderes Oratorium. Warum nicht? So landete sie in einem bisher unbekannten Museum UND bekam ein Privatkonzert auf einem C.Bechstein-Flügel. Aber den Bericht darüber heben wir uns für einen anderen Artikel auf 🙂 .
Das Oratorium ist noch bis zum 6. Januar an allen Samstagen und Sonntagen von 11-12.30 Uhr und von 17-19.30 Uhr geöffnet. Sicherheitshalber aber vorher die Facebook-Seite des Oratoriums konsultieren, da sie ihre Türen turnusmäßig erst nach den Ferien ab April wieder öffnen.
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