Ecco Le Marche

Es gehört zu den mysteriösesten Verbrechen Italiens: der Tod von Enrico Mattei, einem der einflussreichsten Wirtschaftsbosse im Italien der 1950er Jahre. Er hat maßgeblich zum italienischen Wirtschaftswunder nach dem Krieg beigetragen und wird in einem Atemzug mit Wirtschaftsgrößen wie Giovanni Agnelli (Fiat) und Camillo Olivetti (Olivetti) genannt.

Aufmerksam geworden bin ich auf die Geschichte, als ich 2022 in Acqualagna eine Ausstellung zu seinem 60ten Todestag sah.

Denn Mattei wird 1906 in Acqualagna als Sohn eines einfachen Polizisten geboren und zieht mit seiner Familie 1919 nach Matelica um, wo er auch nach seinem Tod beerdigt wird. In beiden Orten wird Mattei hoch verehrt und es gibt in den ganzen Marken, ja in ganz Italien, Plätze und Straßen, die ihm gewidmet sind. In Algerien ist ihm sogar ein ganzer öffentlicher Park gewidmet!

Doch wer war Enrico Mattei?

Mattei gründet in den 1930er Jahren in Milano ein Chemieunternehmen, das die italienische Armee beliefert. Im 2. Weltkrieg schliesst er sich den Partisanen der Resistenza an und wird Chef des katholischen Widerstandes. All dies macht ihn für die regierende DC (Christlich-Demokratische Partei) zum idealen Kandidaten, um nach dem Krieg den staatlichen Konzern AGIP, der von Faschisten gegründet worden war, abzuwickeln.

Bildquelle Wikimedia Commons

Aber Mattei geht seinen eigenen Weg (und wird dies in der Folge immer wieder tun): 1949 erklärt er, dass in der Po-Ebene gehörige Mengen an Erdöl und Methan entdeckt worden wären. Das war die Chance, Italien energiepolitisch unabhängig zu machen! Und so fordert er, den Konzern weiter auszubauen. Die Bodenschätze der Po-Ebene erwiesen sich später als kaum der Rede wert, aber das war gar nicht mehr wichtig.

1953 gründet Mattei die ENI, den staatlichen italienischen Energiekonzern, und bietet den Seven Sisters (Sieben Schwestern), sprich den damals mächtigsten Ölkonzernen der Welt (Exxon, Shell, BP, Mobil, Chevron, Gulf Oil und Texaco), selbstbewusst die Stirn.

aus wikimedia commons

Quelle: wikimedia commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Logo_ENI.svg)

Um unabhängig zu sein, offeriert er zunächst ärmeren oder kleineren Staaten des Nahen Ostens, Afrikas und des Ostblocks Verträge zur Öl-Exploration und Förderung an. Mit deutlich besseren Konditionen als die großen der Ölindustrie! Er bietet einigen Ländern branchen-unübliche 50%ige Beteiligungen an oder dass sie sich an den Kosten der Exploration nicht beteiligen müssten, wenn diese nicht erfolgreich wären. Algerien umwirbt er und unterstützt es im Unabhängigkeitskampf gegen Frankreich, was ihm möglicherweise zum Verhängnis wird. Doch dazu später …

„Sein“ Konzern (der ja eigentlich ein staatlicher ist) übernimmt in den 1950er Jahren die Kontrolle über hunderte Gesellschaften, darunter auch Zeitungen und Chemieunternehmen. Mattei ist nun nicht nur unternehmerisch, sondern durch die Geschäfte mit vielen Ländern auch diplomatisch unterwegs und trifft die Mächtigen der Welt. Dass er so mächtig wird, könnte ihm später gefährlich werden. Dazu später …

Der mysteriöse Tod von Mattei.

Das Jahr 1962 wird ihm trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zum Verhängnis. Mattei ist inzwischen vielen auf die Füße getreten und es gibt einige Skandale und Verfahren, unter anderem, weil vermutet wird, dass er es mit dem Gesetz nicht so genau nimmt und Politiker besticht. Anfang 1962 entdeckt sein Pilot Sabotage am Flugzeug. Mattei nutzt fortan 2 baugleiche Flugzeuge und entscheidet immer erst kurzfristig, mit welchem er fliegt. Er verlässt sich nur noch auf seinen eigenen Sicherheitsdienst aus ehemaligen Partisanen und ENI-Mitarbeitern.

Dennoch stürzt sein Flugzeug am 27.10.1962 kurz vor Mailand ab, mit ihm, seinem erfahrenen Piloten und einem amerikanischen Journalisten an Bord. Merkwürdig ist dabei, dass die Wrackteile sehr schnell weggeschafft und gereinigt werden und das baugleiche Schwesterflugzeug in Einzelteilen in die USA verkauft wird. Damit wird eine ernsthafte Untersuchung des Absturzes kaum noch möglich. In der Folge wird der ganze Fall als Unfall deklariert!

Ungereimtheiten.

Jahre später kommen immer wieder Zweifel an dieser Version auf und weitere Todesfälle folgen:

Der international renommierte Regisseur Francesco Rosi beauftragt für seinen Film „Der Fall Enrico Mattei“ den Journalisten Mauro de Mauro, zu recherchieren. Nur wenige Tage nachdem de Mauro von einer bedeutenden Entdeckung in diesem Fall erzählt, verschwindet er spurlos. Jahre später erzählt der Mafia-Aussteiger Tommaso Buscetta, dass de Mauro von der Cosa Nostra getötet wurde. Allerdings sagt er auch, es wäre keine Mafia-Angelegenheit gewesen, sondern ein Auftragsmord für „einige Ausländer“. Mehrere Polizisten, die das Verschwinden de Mauros untersuchen, werden ebenfalls ermordet.

Pier Paolo Pasolinis letzter Roman vor seiner Ermordung (die ebenfalls nie zweifelsfrei aufgeklärt wurde) beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema Öl und lautet Petrolio. Angeblich sollte es ein Kapitel über den Fall Mattei gegeben haben, das aber im Manuskript, das posthum veröffentlicht wird, nicht mehr auftaucht. Kamen Pasolinis Mörder aus demselben Umfeld wie die von Mattei?

Theorien über den Absturz von Enrico Mattei:

Über die Zeit sind viele Theorien über den Absturz entwickelt worden, manche mehr und manche weniger verschwörungsgläubig. Hier einige der populärsten:

  • Der französische Geheimdienst, oder aber die französische rechtsextreme Organisation OAS, stünden hinter dem Absturz, weil Mattei Algerien im Unabhängigkeitskampf gegen Frankreich unterstützte.
  • Die Mafia selbst stecke dahinter, weil Mattei auch der Mafia zu mächtig wurde, insbesondere in Sizilien, wo er Arbeitsplätze und Wohlstand versprach.
  • „Die“ Amerikaner, entweder die CIA, der amerikanische „Cosa Nostra“-Zweig oder amerikanische Konzerne, hätten den Auftrag zur Ermordung Matteis gegeben, weil er den überwiegend amerikanischen Ölkonzernen ein Dorn im Auge war.
  • Politiker, denen Mattei zu mächtig wurde, gab es ebenfalls genug …
  • Und schließich gibt es noch Vermutungen über private Motive: etwa Eugenio Cefis, Partisanen-Freund Matteis, der sein Nachfolger bei der ENI wird oder Giuseppe Casero, der in die Untersuchungen des Flugzeugabsturzes involviert ist und später Margherita Paulas, die Witwe von Mattei, heiratet.

Aber wie wahrscheinlich sind die privaten Motive angesichts der merkwürdigen Ungereimtheiten? Was denkt Ihr?

Die ENI heute.

Inzwischen wissen wir, dass fossile Energieträger einen großen Anteil am CO2-Ausstoss und dem Klimawandel haben, auch wenn Mattei damals als Chef der ENI wie ein Held verehrt wurde. Klar wird aus dem Fall aber auch, dass das Geschäft mit dem Öl schon immer auch ein blutiges Geschäft war.

Der ehemals staatliche Konzern ENI ist heute börsennotiert und hält immer noch einen bedeutenden Anteil am italienischen Öl- und Gasmarkt. Tankstellen wie AGIP und IP sind in Italien allgegenwärtig und gehören zum ENI Konzern. In den Marken befindet sich eine große Raffinerie bei Falconara Marittima:

ENI Raffinerie bei Falconara Marittima in den Marken

Tipps zum Thema:

  • Der Film „Der Fall Mattei“ von Francesco Rosi aus dem Jahre 1972. Es gibt eine Youtube-Version mit englischen Untertiteln.
  • Das Geburtshaus von Enrico Mattei steht in Acqualagna (direkt neben dem Trüffelmuseum), kann aber scheinbar nur nach Absprache besichtigt werden. Die Telefonnummer findet Ihr auf der Webseite.
  • Das Museum Enrico Mattei in Matelica, das von seiner Nichte, Rosy Mattei, betreut wird, hat viele Exponate aus seinem Leben. Im Winter habe ich leider nicht geschafft, einen Termin dort zu bekommen, obwohl es eigentlich geöffnet war. Am Ende erzählte mir Rosy Mattei, der Eintritt wäre zwar frei, aber sie würde erwarten, dass wir entweder das Buch über Mattei kaufen oder 25 EUR spenden. Das war mir dann zu blöde. Vielleicht versuche ich es im Sommer zu geregelten Öffnungszeiten noch einmal.


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